Geburtshelfer: Amiga
Es ist 1985/1986. Ich lege mir meinen ersten Computer zu. Einen Amiga. Computer sind noch nicht weit verbreitet. In manchen Büros und Arztpraxen sieht man zwar schonmal schwerfällige DOS-Computer, aber die sind für die Allgemeinheit noch zu uninteressant, wenig benutzerfreundlich und auch zu teuer. Mit dem Amiga und dem Atari kommen plötzlich preisgünstige Computer auf den Markt, die zudem mit beeindruckenden Fähigkeiten aufwarten können. Sie beherrschen Sound und Grafik in erstaunlicher Qualität. Sie haben einen grafischen Bildschirm mit Icons und Mausbedienung. Und während die DOS-Computer mit übergroßen Disketten aus Pappe gefüttert werden, kommen die jungen Computer mit einer kleinen Plastikdiskette daher, die mit einem sexy Klick in den Schacht einrastet.
Die New-Wave-Uhr
Von Lars, der zum engeren Ensemble des Präsident Glinke Theaters gehört, erfahre ich, dass es eine neue Schweizer Uhr gibt, die der damals marktbeherrschenden Swatch-Uhr auf dem Massenmarkt Konkurrenz machen will. Sein Schwager arbeitet dort und er habe ihm erzählt, dass die Firma dringend ein ansprechendes Werbekonzept sucht. Sie hatten zwar bereits die größten europäischen Agenturen beauftragt, die hätten sogar den Eiffelturm für Werbezwecke „eingekleidet“, aber alle Konzepte hätten bisher nicht wirklich überzeugt.
Er übergibt mir ein paar von diesen Uhren. Das Besondere an ihnen ist: Das Armband ist ein Reif aus Blech über den hübsche Stoffe gestreift werden. Je nach Outfit werden passende Stoffe übergestreift. Bei rotem Outfit ein Roter, bei getigertem Outfit ein Getigerter und so weiter. Die Stoffe werden separat verkauft. Wohl der Grund, warum die Uhr so billig ist. Das Geld wird mit den Stoffen gemacht.
Clevere Idee! Es ist die New-Wave-Zeit. Die Hippies legen zunehmend Jeans und Parka ab und beginnen sich zu stylen. Und Styling ist ein Spiel. Je nach Laune geht es mal in Richtung Yuppie, mal in Richtung Punker.
Das neue Werbemedium
Styling und Wechseln sind also das Thema. Während ich erste Gedanken für ein Werbekonzept in meinen Amiga tippe, kommt mir plötzlich eine Idee, die mich selber umhaut! Styling und Wechseln. Beides beherrscht dieser Computer perfekt! Und diese Computer werden sich bald durchsetzen. Man müsste Werbung über diesen Computer laufen lassen. Über diese Disketten! Das wäre ein völlig neues Werbemedium! Bisher gibt es nur Print, Audio (Radio) und Film. Die Diskette würde neue Wege eröffnen. Styling und Wechseln. Man müsste ein Spiel machen, das diese Komponenten erfüllt und dabei das Produkt bewirbt! Dieses Spiel müsste dann jeder Auslieferung des Computers – quasi als Bonus – beigelegt werden.
Die Reaktion der Schweizer lässt nicht lange auch sich warten. Schon nach wenigen Tagen habe ich eine Einladung in die französische Schweiz und Karten für ein luxuriöses Schlafwagenabteil im Briefkasten.
Nachwort
Mein Konzept überzeugt und wird angenommen. Doch kurz darauf geraten sich die Firmengründer derart in die Haare, dass sie die Firma auflösen.
Etwa ein Jahr später schreibt der „Spiegel“: Eine neue Werbeidee schwappt aus Amerika zu uns rüber. Die Diskette als Werbemedium.
1999, also mehr als zehn Jahre später, erscheint auf dem deutschen Markt der Höhepunkt des Disketten-Werbespiels. Das „Moorhuhn“.