
Meine Einschulung. John F. Kennedy wurde ermordet. Der 17. Juni ist ‚Tag der deutschen Einheit‘. In der Schule basteln wir für diesen Tag Lampions, um sie für unsere Brüder und Schwestern in der sowjetischen Besatzungszone gut sichtbar ins Fenster zu stellen. Wir sind brave Kinder. Wer nicht brav ist kriegt Prügel. Wer brav ist aber auch. Eltern, Lehrer, Fremde, sie alle prügeln.
Die Eltern meines Schulfreundes Siegfried haben eine ‚Neunschwänzige Katze‘ auf der Kücheneckbank liegen. Eine brutale Peitsche, bestehend aus einem kurzen Holzstab, an dem mehrere Lederriemen angenagelt sind. Diese Lederriemen sind wiederum mit zahlreichen Stahlnieten ‚verziert‘. Als wir einmal bei Siegfried gemeinsam unsere Schularbeiten machen und dabei etwas albern werden, werde ich Zeuge, wie dieses Misshandlungsgerät auf widerwärtigste Weise zum Einsatz kommt. Bis dahin hatte ich es nur für eine übertriebene Drohung gehalten.
1968 bin ich 12 Jahre alt und der Stolz meiner Eltern. Musterschüler. Das Lernen fällt mir leicht. Lesen konnte ich schon vor der Einschulung. Ich bin aber kein Streber. Meine Mitschüler mögen mich und wählen mich wiederholt zum Klassensprecher. Die späten 60er Jahre sind nicht nur für die Republik besondere Jahre, auch für mich persönlich sind es rückblickend aufregende Jahre. Ich wechsele aufs Gymnasium. Die Lehrer prügeln dort nicht mehr offen, sie haben verstecktere Kniffe. Sie drehen einem zum Beispiel recht schmerzhaft das Ohr um.
Im Fernsehen wird ständig über den Vietnamkrieg berichtet. Bilder von US-Soldaten, die mit Flammenwerfern alles in Asche verwandeln. Napalmopfer, die vor Schmerzen schreien und deren Flammen nicht einmal mit Wasser zu löschen sind.
Ein anderes Thema sind die Gammler, die Hippies, die Langhaarigen und die unsittlichen Frauen in deren Gefolge. Das Fernsehen, meine Eltern, meine Lehrer, die Leute auf der Straße, sie alle sind sich einig, dass diese Jugend der Untergang des Vaterlandes ist. „Ihr wollt schließlich einmal die Elite unseres Landes sein“, sagen die Lehrer und es klingt nach Verachtung.
Gleichzeitig sehe ich im Fernsehen Bilder von Massendemonstrationen gegen den Vietnamkrieg überall auf der Welt. Am meisten sogar in den USA. Das imponiert mir. In Deutschland geraten Teufel und Langhans ins Visier der Medien. Ihre Aktionen gefallen mir. Sie haben Humor. John Lennon veranstaltet in Amsterdam mit Yoko Ono ein ‚Bed In‘ gegen den Krieg. Find ich zwar ziemlich schräg, aber es ist eine von vielen tausend Aktionen weltweit gegen eine Welt, die zunehmend auch nicht mehr meine ist.